Nationaler Volkskongress + Sanktionen gegen US-Unternehmen + Grundlagenforschung
Top Thema
Volle Agenda beim NVK: Neubesetzungen in Xis Regierung und institutionelle Umbauten
Am 5. März beginnt in Beijing der 14. Nationale Volkskongress (NVK), auf dem in diesem Jahr die obersten Regierungsposten neu vergeben werden. Erwartet werden zudem institutionelle Änderungen und die Verabschiedung neuer Gesetze.
Seit dem Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) vergangenen Oktober gelten Li Qiang als neuer Ministerpräsident und Ding Xuexiang als Stellvertreter als gesetzt. Die beiden engen Verbündeten von Xi Jinping wurden im Herbst in hohe Parteiämter berufen und lösen nun Li Keqiang und Han Zheng an der Spitze der Regierung ab. Die 2977 Delegierten werden auf dem NVK auch Xi Jinping – vermutlich einstimmig – für eine dritte Amtszeit als Chinas Staatschef wiederwählen.
Am ersten Tag der Tagung wird der scheidende Ministerpräsident Li den Arbeitsbericht der Regierung präsentieren und die politischen Prioritäten und wirtschaftlichen Ziele für das laufende Jahr verkünden. Beobachter erwarten ein Wachstumsziel von „um die fünf Prozent”, nachdem Chinas Bruttoinlandsprodukt vergangenes Jahr nur drei Prozent zugelegt hatte.
Der NVK wird zudem das neue Militärbudget und den Regierungshaushalt freigeben und die Weichen für die Wirtschaftspolitik dieses Jahres stellen. Parallel zum Volkskongress tagt die Politische Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes, weshalb auch von den „Zwei Sitzungen“ die Rede ist.
Die Beförderung von Li Qiang in das Amt des Ministerpräsidenten ist ein Beleg dafür, dass Xi seine Macht in der Regierung festigen und ihm Schlüsselpositionen mit ihm gegenüber loyalen Personen besetzen konnte. Dazu zählen auch die Nationale Kommission für Entwicklung und Reform (NDRC), Chinas oberste Wirtschaftsplanungsbehörde, die Zentralbank (PBOC), das Finanzministerium sowie das Ministerium für Wissenschaft und Technologie. Bisherige Ankündigungen lassen vermuten, dass sich die neue Regierung in den nächsten Monaten darauf konzentrieren wird, Ordnung in den Finanzsektor zu bringen.
Chinas Führung wird den Delegierten ihre Pläne für institutionelle Änderungen in Partei und Staat präsentieren. Dazu gehört sehr wahrscheinlich ein Umbau einiger Ministerien und der zentralen Verwaltung, eine noch stärkere Verflechtung von Partei und Staat und möglicherweise die Aufwertung oder Neugründung von Parteikommissionen. Die Finanz- und Marktaufsichtsbehörden, die Portfolios für Klimapolitik und grüne Technologien sowie der Sicherheitsapparat könnten ebenfalls vor größeren Änderungen stehen, darunter eine stärkere Zentralisierung und Anbindung an die Kommunistische Partei. Zudem wird erwartet, dass der Kongress Änderungen an Chinas Gesetzgebung und Aufsicht darüber stärker zentralisiert.
MERICS-Analyse: „Der Nationale Volkskongress besiegelt die Beförderung weiterer loyaler Verbündeter Xis an die oberste Staatsspitze. Der Partei- und Staatschef kann damit dann auf die Unterstützung der Regierung für sein politisches Programm zählen,“ sagt MERICS-Experte Nis Grünberg. „Die Umstrukturierung der Verwaltung wird die Aufsicht der Partei über die Politikgestaltung noch verstärken, insbesondere in den Bereichen Finanzpolitik und Nationale Sicherheit.“
Medienberichte und Quellen:
METRIX
8000
Die Zahl der Mitarbeitenden des Europäischen Parlaments, die in dieser Woche angewiesen wurden, die chinesische Social-Media-App TikTok von ihren Dienstgeräten zu löschen. Zuvor hatten bereits die EU-Kommission und der Europäische Rat die Nutzung der App auf Diensthandys und Tablets aufgrund von möglichen Cybersicherheitsrisiken untersagt. In den USA ordnete das Weiße Haus an, die umstrittene Kurzvideo-App von allen Geräten von US-Bundesbehörden zu entfernen. Bereits zuvor hatten einzelne US-Behörden ihren Mitarbeitern untersagt, TikTok zu nutzen.
Medienberichte und Quellen:
Themen
Beijing setzt erstmals US-Unternehmen auf neue Sanktionsliste
Die Fakten: Chinas Handelsministerium verkündete am 16. Februar Sanktionen gegen Lockheed Martin und Raytheon Missiles & Defense und begründete dies mit Waffenlieferungen an Taiwan. Die beiden US-Luftfahrtkonzerne sind die ersten Unternehmen, die Beijing auf seine 2020 geschaffene „Liste unzuverlässiger Einheiten“ setzt. Sanktionierten Unternehmen drohen in China Einschränkungen in Handel, Investitionen und bei der Mobilität von Mitarbeitern, möglicherweise auch Geldstrafen. Beijing begründete die Strafmaßnahmen zwar mit dem Export von Waffen nach Taiwan, Beobachter sehen jedoch einen Zusammenhang mit dem Abschuss eines chinesischen Ballons in den USA – ausgeführt mit einem Kampfjet von Lockheed Martin und einer von Raytheon produzierten Rakete.
Der Blick nach vorn: Die Sanktionen gegen zwei große US-Unternehmen mögen wie ein Zeichen der Stärke wirken. Tatsächlich zeigt der Fall, wie sehr China von ausländischen Technologien abhängig ist. Beijing setzte nicht Raytheon selbst, sondern dessen Tochterkonzern Raytheon Missiles & Defense auf die schwarze Liste, vermutlich weil Raytheon auch Chinas zivile Luftfahrtbranche beliefert. Lockheed Martin wiederum ist fast ausschließlich in der Verteidigungsindustrie tätig. 2021 erwirtschaftete Raytheon 35 Prozent seines Absatzes mit kommerziellen Technologien, bei Lockheed Martin war es nur ein Prozent, wie Jahresberichten der Unternehmen zu entnehmen ist. Obwohl Beijing sein Instrumentarium an wirtschaftlichen Vergeltungsmaßnahmen ausbaut, sind seine Möglichkeiten begrenzt. China kann gegen ausländische Technologiefirmen, von denen es abhängig ist, nicht allzu hart vorgehen.
MERICS-Analyse: „Beijings Entschlossenheit, wirtschaftlichen Druck auf andere Länder auszuüben, wird durch Chinas technologische Abhängigkeiten in die Schranken gewiesen. Aus diesem Grund setzte Beijing eine Tochtergesellschaft von Raytheon und nicht den Konzern selbst auf die Sanktionsliste”, sagt MERICS-Experte Jacob Gunter. „Da die USA künftig vermutlich mehr Waffen nach Taiwan exportieren werden, dürfte Beijing weitere Vergeltungsmaßnahmen ergreifen. Wenn es sich auf Waffenproduzenten beschränkt, wird die Wirkung weitgehend symbolisch sein, da US-Rüstungskonzerne den chinesischen Markt kaum beliefern. Bei den wenigen Ausnahmen handelt es sich um für China wichtige kommerzielle High-Tech-Produkte.“
- From opportunity to risk: The changing economic security policies vis-à-vis China. MERICS Studie von Francesca Ghiretti
- Fasten your seatbelts: How to manage China’s economic coercion. MERICS Studie von Aya Adachi, Alexander Brown und Max J. Zenglein
Medienberichte und Quellen:
Politbüro signalisiert Unterstützung für Grundlagenforschung und internationale Wissenschaftskooperationen
Die Fakten: In ihrer jüngsten Studiensitzung widmeten sich die 24 Mitglieder des Politbüros erneut der technologischen Unabhängigkeit des Landes, ein Zeichen dafür, wie wichtig der KPC das Thema ist. In der Sitzung davor war es um die Frage gegangen, wie China seine nationalen Ressourcen angesichts technologischer Schwachstellen gezielt einsetzen könne. Bei den regelmäßigen Treffen referieren Experten über Themen von strategischer Bedeutung. In der Sitzung im Februar bezeichnete Partei- und Staatschef Xi die Stärkung der Grundlagenforschung als Voraussetzung für Chinas Aufstieg zu einer vom Ausland unabhängigen Supermacht in Wissenschaft und Technologie. Er sprach sich dafür aus, in der Grundlagenforschung mit internationalen Partnern zusammenzuarbeiten und nannte den Klimawandel, Energiesicherheit, Biosicherheit und Weltraumtechnologien als mögliche Kooperationsfelder.
Der Blick nach vorn: Im diesjährigen Arbeitsbericht der Regierung an den Nationalen Volkskongress dürfte die Überwindung von technologischen Abhängigkeiten ebenfalls prominent erwähnt werden. Personelle und institutionelle Änderungen werden zeigen, wie Beijing seinen „die ganze Nation umfassenden“-Ansatz im Bereich Wissenschaft und Technologie konkret umsetzen will. Laut Xi soll die Grundlagenforschung von einer Mission getrieben und ergebnisoffen sein, um sich in die strategischen Prioritäten des Parteistaats einzugliedern. Chinas Wissenschaftsetat dürfte in diesem Jahr angehoben werden, damit der Anteil der Grundlagenforschung von 6,3 Prozent im Jahr 2022 auf die im aktuellen Fünfjahrplan vorgesehenen acht Prozent steigen kann. Das Ministerium für Wissenschaft und Technologie (MOST) kündigte zudem mehr Finanzierungsmöglichkeiten für ausländische Forscher an und will auch Projekte im Ausland fördern.
MERICS-Analyse: „Selbst die Grundlagenforschung wird in China zunehmend politischen Zielsetzungen untergeordnet”, sagt Jeroen Groenewegen-Lau, Leiter des Programms Wissenschaft, Technologie und Innovationen bei MERICS. „Chinesische Experten argumentieren, das Land brauche Grundlagenforschung, weil sein Zugang zu globalem Wissen und Technologien gefährdet ist. Auch die Grundlagenforschung birgt Risiken: es sind nicht etwa grüne Technologien, die das Ministerium zu Schwerpunkten erklärt hat, sondern Künstliche Intelligenz, Quanteninformationen und Laserfertigung. Es ist im Interesse Europas, in manchen Bereichen mit chinesischen Forschern zusammenarbeiten – mit den angemessenen Sicherheitsvorkehrungen.”
Medienberichte und Quellen:
- Xinhua (CN): 习近平在中共中央政治局第三次集体学习时强调 切实加强基础研究 夯实科技自立自强根基 (Xi Jinping stressed during the third collective study of the Political Bureau of the CPC Central Committee to effectively strengthen basic research and solidify the foundation of scientific and technological self-reliance and self-improvement)
- SCMP: China must push basic science to become tech power, Xi Jinping says in call to boost funding, global teamwork
- Chinese government website (CN): 国务院新闻办就“深入实施创新驱动发展战略 加快建设科技强国”举行发布会新闻发布 (The Information Office of the State Council press conference on "Deepening the implementation of the innovation-driven development strategy and accelerating the construction of a strong science and technology nation")
Chinas Vorschlag zum Ukraine-Konflikt: eine Kommunikationsstrategie für den globalen Süden
Die Fakten: Am 23. Februar verurteilte die UN-Generalversammlung erneut mit überwältigender Mehrheit die russische Invasion in der Ukraine. Seit Beginn des Krieges vor einem Jahr haben sich nur zwei Länder zu einer pro-russische Haltung umstimmen lassen, während Stimmenthaltungen weitgehend konstant blieben. Dies deutet darauf hin, dass die russische Darstellung des Krieges, die von China unterstützt wird und auf den Globalen Süden abzielt, bisher nicht erfolgreich war, dessen Wahlverhalten zu ändern. Nun hat sich Beijing entschlossen, seine Kommunikationsstrategie zu überarbeiten und sich als verantwortungsbewusste und proaktive Friedensmacht darzustellen. Zum Jahrestag der russischen Invasion veröffentlichte China ein Positionspapier als auch ein weiteres Konzeptpapier, in dem seine Globale Sicherheitsinitiative (GSI) beschrieben wird.
Der Blick nach vorn: Es überrascht nicht, dass der Vorschlag in den USA und der EU skeptisch bewertet wurde. Jedoch hofft China wahrscheinlich auf eine positivere Reaktion der Länder des globalen Südens, die von den Auswirkungen des Krieges auf die Lebensmittel- und Energiepreise betroffen sind. Eine Ausweitung der "Friedens-Kommunikation“, ohne sich wirklich zu einer konstruktiven Rolle zu verpflichten, könnte ausreichen. Bisher haben nur der Iran, Kasachstan und Weißrussland Chinas Vorschlag offiziell befürwortet, aber Beijings Kommunikationskampagne kann immer noch Fahrt aufnehmen und andere mit ins Boot holen.
MERICS-Analyse: „Beijing sieht den Krieg in der Ukraine durch die Linse seines strategischen Wettbewerbs mit den USA und nicht als ein eigenständiges Thema“, sagt Grzegorz Stec, Analyst bei MERICS. „Der Friedensvorschlag und die Dokumente der Globalen Sicherheitsinitiative sind Teil einer breit angelegten Kommunikationsstrategie, mit der China sich als eine Kraft des positiven Wandels darstellen und Unterstützung für Veränderungen in der internationalen Ordnung gewinnen möchte. In ihrer Kritik an Chinas Positionspapier müssen die EU-Mitgliedstaaten bedenken, dass sie nicht die einzigen – und wahrscheinlich nicht die wichtigsten – Adressaten sind.“
- The peace plan that wasn't. Kurzanalyse von Helena Legarda
Medienberichte und Quellen:
- Financial Times: China’s support for Russia taints Ukraine ‘peace’ plan, western officials say
- South China Morning Post: US joins EU in rejecting Beijing’s peace proposal, sanctions more Chinese firms
- The Guardian: Chinese peace plan for Ukraine greeted cautiously by the west
- European Council on Foreign Relations: United West, Divided from the Rest: Global Public Opinion One Year Into Russia’s War on Ukraine
Rezension
Chinese Power and Artificial Intelligence, herausgegeben von William C. Hannas und Huey-Meei Chang (Routledge, 2023)
Beijing hat Künstliche Intelligenz (KI) zu einem Schlüsselbereich erklärt. China möchte darin weltweit wettbewerbsfähig sein und wirft nun mit aller Kraft die Maschinerie an, um das Wachstum im Turbogang zu beschleunigen. William C. Hannas und Huey-Meei Chang, beide Forschende am Zentrum für Sicherheit und Zukunftstechnologien an der Georgetown Universität, haben Beiträge von 15 Experten zusammengestellt, die Einblick in die Methoden geben, mit denen China versucht, sein Ziel zu verwirklichen - und wie erfolgreich die Bemühungen letztendlich sind. Dieses Buch bietet einen ausgezeichneten Überblick über Chinas KI-Landschaft und eine nützliche Referenz für zukünftige Forschung.
Das Buch beginnt mit einem Blick auf die institutionellen und wirtschaftlichen Strukturen, die KI-Innovation in China vorantreiben. Es beschreibt ein komplexes Netzwerk an Forschungseinrichtungen, darunter Universitäten, eigenständige Labors und Unternehmen, und erklärt, wie der Staat sie mit zielgerichteten politischen Maßnahmen und immensen Fördergeldern unterstützt hat. Die Autor:innen thematisieren auch weitere Maßnahmen, wie Bildungsprogramme zur Förderung von Talenten und Bemühungen, durch den Transfer ausländischer Technologien neues Know-how zu gewinnen.
Chinas gezielte Förderung der KI-Forschung hat zu Ergebnissen geführt. Die Forschungsergebnisse bestätigen Chinas herausragenden Beitrag zur KI-Forschung. In den Neurowissenschaften erforschen Wissenschaftler die Möglichkeit, die menschliche Intelligenz mit Hilfe von KI nachzuahmen. In der Biologie wird KI in Bereichen eingesetzt, die von gentechnisch veränderten Nutzpflanzen bis hin zur Präzisionsmedizin reichen. China investiert auch massiv in die Quanteninformatik, wo Fortschritte die Rechenleistung erheblich verbessern und die KI-Forschung weiter beflügeln könnten. Auch wenn China in Bereichen wie KI-Software und hochentwickelten Halbleitern noch nicht aufgeschlossen hat, sind die Weichen für den Weg zur KI-Führung gestellt.
Das Buch befasst sich auch mit den eher besorgniserregenden Aspekten der chinesischen KI-Entwicklung, beispielsweise dem Einsatz von maschinellem Sehen und unbemannten autonomen Fahrzeugen für militärische Zwecke oder der Verwendung biometrischer und gesundheitlicher Daten zu Überwachungszwecken. Die Bemühungen Chinas um den Einsatz von KI in Sicherheit und Regierungsführung hinken hinter den technologischen Durchbrüchen hinterher. Trotzdem oder gerade deshalb sei China ein ernstzunehmender Konkurrent im Bereich der KI. Der Westen müsse aktiv werden und seine Stärken ausspielen.
Rezension von Wendy Chang, Praktikantin im Bereich Wissenschaft, Technologie und Innovationspolitik, MERICS
MERICS China Digest
Bereits zum zweiten Mal hat der niederländische Chip-Hersteller Vorwürfe gegen China erhoben. Das Unternehmen leitete eigenen Angaben zufolge interne Untersuchungen wegen des Verdachts des Datendiebstahls ein. (15.2.2023)
Parteistaatliche Medien bezeichneten die an der Shanghaier Universität entwickelte Plattform bereits als Chinas ersten Rivalen für die US-Anwendung ChatGPT. Ein plötzlicher Anstieg der Aufrufe ließ das Programm binnen weniger Stunden nach dem Start zusammenbrechen. (21.2.2023)
Der Plan setzt Ziele für signifikante Fortschritte bei der Digitalisierung bis 2025 und „weltweit führende“ Positionen bis 2035. (27.2.2023)