Biotype lab
MERICS Briefs
MERICS China Essentials
10 Minuten Lesedauer

Wissenschaftsspionage + Immobilienmarkt + Taiwan

Top Thema

EU-Mitgliedstaaten wollen gemeinsam gegen Wissenschaftsspionage vorgehen

In letzter Zeit mehrten sich die Warnungen europäischer Geheimdienste und Medienberichte über staatlich unterstützte Wissenschaftsspionage – auch durch chinesische Akteure. Der Europäische Rat hat nun eine Empfehlung angenommen, welche die Forschungssicherheit in der EU stärken soll, ohne sich dabei auf ein konkretes Land zu beziehen. In dem Dokument vom 24. Mai empfiehlt die EU den Mitgliedstaaten unter anderem, den Informationsaustausch zwischen Forschungsgemeinschaft und Geheimdiensten zu intensivieren. Dies wird in Wissenschaft und Politik kontrovers diskutiert, manche sehen darin eine Verletzung wissenschaftsethischer Grundsätze. 

Bereits vor zwei Jahren berichtete der niederländische Geheimdienst AIVD, dass Beijing regelmäßig akademische Kooperationen nutze, um Institutionen und einzelne Forscher auszuspähen. Ebenfalls im Jahr 2022 kam das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) zu dem Schluss, dass China ein System für den Transfer von Technologien und Kenntnissen für zivile und militärische Zwecke betreibe. Das BfV sprach von der „größten Bedrohung“ in der Wirtschafts- und Wissenschaftsspionage.

Der Informationsaustausch zwischen europäischen Forschern und Nachrichtendiensten könnte in Gesprächsformaten verschiedener Vertraulichkeitsstufen oder über Verbindungspersonen erfolgen. In einigen Ländern, etwa den Niederlanden, können sich Forscher an Beratungsstellen wenden, die den Kontakt zu Geheimdiensten und anderen Behörden herstellen. 
In der Forschungsgemeinschaft könnte eine engere Zusammenarbeit mit Nachrichtendiensten auch kritisch aufgenommen werden. Die von der Regierung Trump in den USA ins Leben gerufene und unter Joe Biden ausgesetzte „China-Initiative“ des FBI wurde scharf kritisiert mit der Begründung, rassistische Diskriminierung und das Schüren von Misstrauen und Ängsten geschürt zu haben.

Die neuen, nicht verbindlichen Leitlinien gehören zu einer Reihe von Maßnahmen, welche die Europäische Kommission im Januar im Rahmen ihrer Strategie für wirtschaftliche Sicherheit eingebracht hatte. Mit der Annahme der Empfehlung bekennen sich die Mitgliedsstaaten dazu, gemeinsam Risiken in der internationalen Forschungszusammenarbeit zu ermitteln und gegen ausländische Einflussnahme und das Ausnutzen von Kooperationsprojekten zu Spionagezwecken vorzugehen. 

Im Sinne des von der EU vertretenen Grundsatzes „so offen wie möglich und geschlossen wie nötig“ ermutigt das Dokument die Europäische Kommission sowie Einrichtungen der Forschungsförderung, Sicherheit und Resilienz in Forschung und Wissenschaft systematisch zu bewerten. Eine gemeinsame Plattform auf EU-Ebene soll dazu beitragen, die Einflussnahme durch andere Staaten und weitere Akteure zu bekämpfen. 

Obwohl die staatlich geförderte Wissenschaftsspionage aus China kein neues Phänomen ist, sind europäische Regierungen wachsamer geworden. In den Medien machten zuletzt immer wieder Verdachtsfälle Schlagzeilen. Im April nahmen die deutschen Behörden drei mutmaßliche chinesische Spione fest, die in Kooperationsprojekten mit Universitäten mitarbeiteten und Informationen über Technologien mit ziviler und militärischer Nutzung an das chinesische Ministerium für Staatssicherheit weitergeleitet haben sollen.

MERICS-Analyse: „Eine staatlich gesteuerte Kampagne zum Erwerb von Wissen und Technologien erfordert eine robuste Antwort“, sagt MERICS-Expertin Rebecca Arcesati. „Es wird aber nicht einfach sein, die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftsgemeinschaft und Geheimdiensten zu gestalten, weil diese mit großen wissenschaftsethischen Risiken verbunden ist. Zudem dürfen internationale Kooperationsprojekte von beidseitigem Nutzen nicht gefährdet werden.“ 

Mehr zum Thema:

Medienberichte und Quellen:

METRIX

344 Milliarden Yuan

Diesen Betrag – umgerechnet 44 Milliarden Euro – hat Chinas Nationaler Investitionsfonds für die Industrie der integrierten Schaltkreise (ICF) für seine dritte Finanzierungsperiode eingeworben. Das sind über zehn Milliarden CNY mehr als in den ersten beiden Finanzierungsrunden zusammen. Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage kamen die Mittelzusagen für den Fonds anfangs nur schleppend, bis die Staatsbanken schließlich einsprangen. Die Verdoppelung der finanziellen Ressourcen für die Produktion von Chips, Industrierobotern, Medizintechnik, Haushaltsgeräten und Fahrzeugen dürfte europäische Sorgen um chinesische Überkapazitäten weiter befeuern. (Quelle: SCMP)

Themen

Beijing legt Kreditprogramm zur Stützung des Immobilienmarktes auf

Die Fakten: Beijing beschleunigt seine Bemühungen zur Abstützung des kriselnden Immobilienmarktes – verzichtet aber weiter auf umfassende Rettungsmaßnahmen für angeschlagene Bauunternehmen. Angesichts des seit Jahren schwindenden Vertrauens potenzieller Hauskäufer legte die chinesische Zentralbank (People's Bank of China) am 17. Mai ein 300 Milliarden CNY (38 Milliarden EUR) schweres Kreditprogramm für staatliche Unternehmen auf, um den Immobiliensektor zu stützen. Die Unternehmen können die Kredite nutzen, um gebaute, aber ungenutzte Immobilien zu kaufen und sie in erschwinglichen Wohnraum umzuwandeln. Oder sie können brachliegende Grundstücke von Bauträgern erwerben, damit diese mit den Einnahmen bereits verkaufte, aber noch nicht gebaute Wohngebäude fertigstellen. Dieses erste landesweite, staatliche Kaufprogramm für den Immobilienmarkt seit 2021 soll nach dem Willen der Behörden bis zu 500 Milliarden CNY (62 Milliarden EUR) für den Wohnungsbau freisetzen.

Der Blick nach vorn: Im Mai kündigte Beijing noch weitere Maßnahmen zur Stabilisierung des Immobilienmarktes an, wie zum Beispiel die Senkung von Darlehens- und Arbeitnehmerkredit-Zinsen sowie der Anzahlungsraten. Kosten und Risiken beim Kauf sollen gesenkt werden, um Verbraucher wieder auf den Immobilienmarkt zu locken. Das Kreditprogramm zielt darauf ab, die Haushalte zu unterstützen und nicht die oft hoch verschuldeten Bauunternehmen. Das Programm ist somit keine Rettungsmaßnahme für den Sektor. Für eine solche wäre die zur Verfügung gestellte Summe unzureichend, da der Wert der unverkauften, beziehungsweise nicht fertig gestellten Wohnungen und ungenutzten Grundstücke auf 30 Billionen CNY geschätzt wird.

MERICS Analyse: „Das Kreditprogramm sollte nicht als eine Abkehr vom harten Durchgreifen im Immobiliensektor verstanden werden. Es handelt sich um einen pragmatischen Tempowechsel der derzeitigen Politik, um den Immobilienwert nicht komplett verfallen zu lassen, da Immobilien für einen Großteil der chinesischen Mittelschicht die einzige Wertanlage darstellen", sagt MERICS-Experte Jacob Gunter. „Xi Jinping hat deutlich gemacht, dass er wirtschaftliche Verluste in Kauf nehmen wird, um die Immobilienblase zu verkleinern. Aus Sicht der Regierung müssen angeschlagene Bauunternehmen selbst umstrukturieren – oder Pleite gehen.“

Medienberichte und Quellen:

Beijing bemüht sich um Stabilisierung – seiner Interessen – in Xinjiang 

Die Fakten: In einem offensichtlichen Versuch, sein globales Image zu verbessern, bemüht sich Chinas Regierung um die „Stabilisierung“ und „Entwicklung“ der Region Xinjiang. Im Mai besuchten sowohl Premier Li Qiang als auch Chen Wenqing, Leiter der einflussreichen Zentralen Kommission für Politische und Rechtliche Angelegenheiten der Kommunistischen Partei Chinas, die Region, in der mehr als elf Millionen mehrheitlich muslimische Uiguren leben. Die Reisen sollten – in Chens Worten – die „Stabilität fördern“ und die Terrorismusbekämpfung gegen Separatisten und andere Bedrohungen in Xinjiang „normalisieren“. Zeitgleich trat ein neues Gesetz über den Erwerb von „ungenutztem Land“ in Kraft, das so für die wirtschaftliche Entwicklung Xinjiangs verfügbar gemacht werden soll.

Der Blick nach vorn: Das Gesetz über den Landerwerb in Xinjiang könnte den Behörden als Vorwand dienen, um der uighurischen Minderheit Land abzunehmen. Dem Ziel der Imageverbesserung dürfte dies nicht zuträglich sein. Wegen Vorwürfen der Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang ist China seit Jahren international in der Kritik und von den USA und der EU mit Sanktionen und Handelsbeschränkungen belegt worden.

MERICS Analyse: „Es gibt keine Anzeichen dafür, dass Minderheiten in Xinjiang besser behandelt werden. Es geht um die wirtschaftliche Entwicklung der Region unter Aufsicht von Han-Chinesen und zum Vorteil des gesamten Landes“, sagt MERICS-Experte Alexander Davey. „Die sozioökonomische Entwicklung in Xinjiang ist für Beijing von zentraler Bedeutung, um sein globales Image zu verbessern und sich gegenüber der Bevölkerung als stabilisierende Kraft darzustellen.“

Medienberichte und Quellen:

Taiwans Opposition setzt neuen Präsidenten mit Parlamentsreform unter Druck

Die Fakten: Die Opposition in Taiwans Parlament hat nicht lange gewartet, ehe sie dem neuen Präsidenten Lai Ching-te die Grenzen seiner Minderheitsregierung aufgezeigt hat. Bereits wenige Tage nach Lais Amtseinführung zeigte sich, dass dessen Demokratische Fortschrittspartei (DPP) es nicht leicht haben wird. Abgeordnete der konservativen Kuomintang (KMT) und Mitte-Links-Partei Taiwan People’s Party (TPP) verabschiedeten mit ihrer gemeinsamen Mehrheit ein Gesetz, das die Möglichkeiten von Parlamentariern ausweitet, Beamte und Bürger für mutmaßliches Fehlverhalten zur Rede zu stellen. Dazu zählt auch das neu aufgenommene Delikt der „Missachtung des Parlaments“. Die Parlamentsreform entfachte massive Proteste nicht nur unter Abgeordneten, sondern auch in der Bevölkerung. Die KMT und TPP argumentierten, die neuen Regeln seien in anderen Demokratien selbstverständlich. Die DPP sieht darin den Versuch, Lais Autorität zu untergraben und mithilfe von Oppositionspolitikern, die China gegenüber freundlich eingestellt sind, den Einfluss Beijings zu stärken.

Der Blick nach vorn: Die Kontroverse über den Beschluss wirft ein Schlaglicht auf die Konfliktlinien in der taiwanischen Gesellschaft und auf die Herausforderungen, vor denen Lais Regierung steht. Sie muss nicht nur eine Eskalation der Spannungen mit Beijing verhindern und sicherstellen, dass Washington weiter an der Seite Taiwans steht, sondern auch mit einer mächtigen politischen Opposition im eigenen Land zurechtkommen. Möglicherweise könnte Lai eine konfrontativere Haltung gegenüber China einnehmen, um seine Parteibasis hinter sich zu scharen, auch mit Blick auf die Lokalwahlen 2026 und die nächsten nationalen Wahlen 2028. Ebenso könnten die KMT und TPP den Austausch mit China aus dem Parlament heraus intensivieren und zentrale Gesetzesvorhaben blockieren. Lai hat die Stärkung der taiwanischen Verteidigung, die demnächst um das erste in Taiwan gefertigte U-Boot erweitert werden, zur Priorität seiner Amtszeit erklärt.  

MERICS-Analyse: „Die Ereignisse um die Gesetzesänderung sind Ausdruck der lebendigen Demokratie in Taiwan. Zudem wird Taiwans Politik auf der internationalen Bühne künftig schwieriger zu kalkulieren sein“, sagt MERICS-Analyst Claus Soong. „Die chinesischen Militärübungen nach Lais Amtseinführung haben in Taiwan die Ablehnung Chinas und des chinesischen Ziels der ‚Wiedervereinigung‘ verstärkt. Taiwans politische Parteien bleiben aber gespalten in der Frage des Umgangs mit China, ein Unsicherheitsfaktor für die Entwicklung der Region und deren Stabilität.“

Medienberichte und Quellen:

Rezension

The sentinel state: Surveillance and the survival of dictatorship in China, von Minxin Pei (Harvard University Press,2024)

Minxin Pei hat sich als Autor zahlreicher Bücher zum Wandel von Chinas wirtschaftlichem und politischen System einen Namen gemacht. Ihn interessiert, wie die Kommunistische Partei sich bis heute an der Macht halten konnte und wie China zugleich an die Grenzen seiner Entwicklung zu stoßen droht in einem autokratischen Regime, für das die nationale Sicherheit Priorität hat. 

In seinem jüngsten Buch beschreibt Pei, wie Chinas wirtschaftlicher Aufstieg anders als von vielen erwartet nicht zur politischen Liberalisierung führte, sondern zur Entstehung eines Überwachungsstaats. Um diesen Apparat am Laufen zu halten, bedarf es einer riesigen Bürokratie, die große Mengen an Ressourcen frisst. Pei meint daher: „In China würde wirtschaftlicher Misserfolg eher als Erfolg den Weg zu einem demokratischen Wandel ebnen“.

Der Autor beschreibt den Überwachungsapparat als Staat im Staat. In einer klaren, präzisen Sprache zeichnet er die Entstehung des modernen Überwachungsstaats in China von der Mao-Ära bis heute nach. Dieser besteht aus einem Geflecht aus Behörden, Initiativen sowie aus Menschen und Technologien, die Daten sammeln, um Bedrohungen abzuwehren und Widerstand im Keim zu ersticken. Während andere Abhandlungen zum Thema auf technologische Aspekte der Überwachung fokussieren, interessiert sich Pei für die tieferliegenden Schichten und Organisationsstrukturen.

Die Leser erfahren etwas über die rasante Ausweitung der Überwachung nach den Tiananmen-Protesten 1989, als der Machterhalt der Kommunistischen Partei gefährdet schien. Zur „Wahrung der Stabilität” baute Beijing ab Mitte der 2000er Jahre physische und insbesondere digitale Kontrollen weiter aus. Die Corona-Pandemie mit ihren Lockdowns und Kontrollmaßnahmen war ein weiterer Katalysator für den Ausbau des Überwachungsstaats. 

Pei gibt einen Überblick über die relevanten parteistaatlichen Institutionen und deren Aufgaben. Fallstudien beleuchten die engmaschige Überwachung von Bereichen, in denen kollektives Handeln entstehen könnte: Im Visier sind vor allem die Privatwirtschaft, religiöse Vereinigungen, Universitäten und das Internet.

Pei schildert anschaulich die Besonderheiten des chinesischen Überwachungsapparats im Vergleich zu anderen Ländern, allen voran die leninistische Struktur des Parteistaats. Kontrollinstanzen auf allen Ebenen ermöglichen der Partei den Zugriff auf alle Bereiche der Gesellschaft. Zugleich verhindert die Verteilung von Zuständigkeiten zwischen verschiedene Ministerien und Behörden, dass bestimmte Akteure zu mächtig werden. Gerade mit Blick auf die derzeit zunehmende Machtfülle des Ministeriums für Staatssicherheit ist Peis Analyse aktuell von höchster Relevanz. 

Rezension von Katja Drinhausen

MERICS China Digest

China verhängt Exportkontrollen für Luftfahrtausrüstung zum „Schutz der nationalen Sicherheit“ (South China Morning Post)

Ab dem 1. Juli dürfen Teile und Motoren von Luft- und Raumfahrtausrüstungen sowie Gasturbinen nicht mehr ohne Genehmigung exportiert werden. Offiziellen chinesischen Daten zufolge waren die USA, Deutschland und Saudi-Arabien in den ersten vier Monaten des Jahres die drei wichtigsten Importeure der betroffenen Produkte. (30.05.2024)

USA warnen Europa vor Ausmaß von Chinas Unterstützung für Russland (Politico)

Washington verstärkt seine diplomatischen Bemühungen, Europa vom Ausmaß der chinesischen Unterstützung für den Krieg Russlands gegen die Ukraine zu überzeugen. Der zweithöchste Beamte im US-Außenministerium, Kurt Campell, sagte in einer Rede vor dem NATO-Gipfel im Juli, dass Beijing Moskau „bis zum Äußersten“ unterstützen würde. (29.05.2024)

Xi empfängt Staatsoberhäupter aus arabischen Staaten (Bloomberg)

Die Staatsoberhäupter von Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Tunesien gehören zu den Teilnehmern des Kooperationsforums zwischen China und den arabischen Staaten am 30. Mai in Beijing. Im Mittelpunkt der Gespräche werden voraussichtlich Investitionsbeziehungen und der Krieg in Gaza stehen. (29.05.2024)