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Drittes Plenum stellt Weichen für Chinas Wirtschaftspolitik der kommenden Jahre

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Xis drittes „Drittes Plenum“ soll Grundstein für sein politisches Erbe legen

Die dritte Plenartagung des 20. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) wird den wirtschaftspolitischen Kurs des Landes aller Wahrscheinlichkeit nach höchstens korrigieren und weniger verändern. Angesichts der Herausforderungen in den Bereichen Wirtschaft, öffentliche Dienstleistungen und Soziales warten Parteifunktionäre und staatliche Beamte in diesem Jahr wohl besonders gespannt auf die Leitlinien des Zentralkomitees. Dessen 205 stimmberechtigte Mitglieder und 171 Stellvertreter kommen vom 15. bis 18. Juli zu ihrem alle fünf Jahre stattfindenden "Dritten Plenum" zusammen. 

Das Dritte Plenum wird entscheidende Parameter für die bis 2035 angestrebte "sozialistische Modernisierung" Chinas festlegen und dürfte ein Eckpfeiler des politischen Vermächtnisses von Partei- und Staatschef Xi Jinping werden. Die Verzögerung des Treffens um ein halbes Jahr könnte ein Hinweis auf parteiinterne Auseinandersetzungen sein – auch wenn keine Abkehr von Xis wirtschaftspolitischem Kurs zu erwarten ist. Wie Xi Anfang Juli im KP-Sprachrohr „People's Daily“ festhielt: „Reform ist nicht gleichbedeutend mit Kursänderung." 

Bereits bekannt ist der Titel des Dokuments, das bei dem Treffen verabschiedet werden soll: „Entscheidung über die weitere umfassende Vertiefung der Reform und das Vorantreiben der chinesischen Modernisierung". Dies deutet auf Kontinuität, keine radikale Kehrtwende hin. Hinweise auf Marktöffnungsschritte und positive Signale an Privatunternehmen sind daher mit Vorsicht zu genießen. China bleibt eine sozialistische Marktwirtschaft, die von Partei und Staat bestimmt wird.

Die „Beschlüsse“ des Dritten Plenums von 2013, das zu Beginn von Xis erster Amtszeit stattfand, geben einen Hinweis darauf, was in diesem Jahr zu erwarten ist. Das 60-Punkte-Dokument befasste sich mit einem breiten Spektrum: Steuern und öffentlichen Finanzen, Wohlfahrt, Regierungsführung, Beziehungen zwischen Staat und Markt und vielen anderen Themen. Die Umsetzung war allerdings dort, wo die Macht der Partei und der Staatskapitalismus gestärkt werden sollten, viel rigoroser als bei sozioökonomischen Reformen. 

Viele Themen werden bei dem diesjährigen Plenum wieder auftauchen, auch wenn der politische Wille und besonders die finanziellen Mittel inzwischen geringer sind. Vor allem wird dieses Dritte Plenum die strategischen Ziele und institutionellen Merkmale von Xis Parteistaat bekräftigen: technologische Autarkie, nationale Sicherheit und die zentralisierte Herrschaft durch eine alles beherrschende KPC, die auf Disziplin und Loyalität setzt.  

MERICS-Analyse: „Das Dritte Plenum wird die Weichen für die Politik des nächsten Jahrzehnts stellen – und dies wird ein von Xi dominiertes sein", sagt MERICS-Experte Nis Grünberg. „Bei der anstehenden Analyse des Treffens sind Begriffe wie 'Reform' durch die Linse Beijings zu betrachten. Denn das Treffen ist in erster Linie innenpolitisch ausgerichtet."  

Medienberichte und Quellen:

METRIX

205 + 171

Das ist die Zahl der stimmberechtigten Mitglieder und nicht stimmberechtigten Stellvertreter des 20. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas (KPC), das vom 15. bis 18. Juli zur dritten von sieben Plenartagungen seiner von 2022 - 2027 dauernden Amtszeit zusammenkommt. Seit der legendären dritten Plenartagung des 11. Zentralkomitees 1978, auf der Deng Xiaoping den Kurs der „Reform und Öffnung" verkündete, richten Beobachter dieser Treffen ihre Aufmerksamkeit auf Signale für wirtschaftspolitische Veränderungen. Das bevorstehende Dritte Plenum hätte in der zweiten Jahreshälfte 2023 stattfinden sollen, etwa ein Jahr nach dem 20. Parteitag der KPC, auf dem Xi Jinping als Generalsekretär bestätigt und ein neues Zentralkomitee gewählt wurde. Die Verzögerung, deren Grund nicht bekannt ist, nährte Spekulationen, dass Xi und andere Partei-Granden uneins über die wirtschaftlichen Prioritäten der kommenden Jahre waren. 

Themen

Wissenschaft und Technologie sollen „sozialistische Modernisierung” voranbringen

Das KPC-Zentralkomitee dürfte auf dem Dritten Plenum auch die Bedeutung eines “gesamtstaatlichen Ansatzes” für die Verwirklichung der “sozialistischen Modernisierung” bis 2035 betonen. Es will die Förderung nationaler Labore für wichtige Technologien sowie nationaler Champions forcieren, um Fortschritte in Wissenschaft und Technologie voranzutreiben. In einigen Bereichen werden Unternehmen bereits gemäß des gesamtstaatlichen Ansatzes eingebunden: der Technologie-Riese Huawei koordiniert maßgeblich die Entwicklung von Chinas Halbleiterindustrie, das Staatsunternehmen COMAC erfüllt eine ähnliche Rolle in der kommerziellen Luftfahrt. 

Chinas Minister für Industrie und Informationstechnologie, Jin Zhuanglong, sprach am Montag von Anreizen für Unternehmen, die im Bereich Wissenschaft und Technologien führend sind und eine dominante Position in Lieferketten haben. Diese sollen nationale Innovationsplattformen gründen und sich an Wissenschafts-, Technologie- und Innovationsprojekten beteiligen. Partei- und Staatschef Xi Jinping forderte führende Wissenschaftler des Landes vergangene Woche auf, „ihre Ärmel hochzukrempeln“ und China in den kommenden elf Jahren zur Unabhängigkeit bei Hochtechnologien zu verhelfen. Das Konzept des “gesamtstaatlichen Systems” stammt aus den 60-er Jahren, es trug dazu bei, dass China nach dem Zerwürfnis mit der Sowjetunion zur Atommacht wurde. Kern ist eine Zentralisierung der Macht und Neuausrichtung der Beziehungen zwischen Staat und Markt. 

MERICS-Analyse: „Aus Xis Sicht sollen Wissenschaft und Technologie alle anderen Wirtschaftsbereiche beleben helfen”, sagt Jeroen Groenewegen-Lau, Programmleiter Wissenschaft, Technologie und Innovationen bei MERICS. „Das Dritte Plenum wird das kollektive Bemühen in den Vordergrund stellen, damit China seine Ziele der technologischen Unabhängigkeit und Modernisierung der Industrie erreicht. Vorübergehende Wohlstandsverluste werden in Kauf genommen. Ob und wann etwaige Erfolge bei der Bevölkerung ankommen, darüber wird das Plenum vermutlich keine genaue Auskunft geben. ” 

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Medienberichte und Quellen: 

Trotz Bekenntnissen zum Markt: Xi glaubt fest an Führung der Wirtschaft durch den Parteistaat

Wenn die Parteielite auf dem Dritten Plenum erneut die Rolle von Marktkräften in der Privatwirtschaft betont, gilt es, dies richtig einzuordnen. Vor etwas mehr als einem Jahrzehnt, beim Dritten Plenum 2013, wurden Xis Ankündigungen vielerorts falsch interpretiert. Die Aussage, Marktkräfte sollten eine entscheidende Rolle bei der Verteilung von Ressourcen spielen, wurde damals als Signal der wirtschaftlichen Liberalisierung gedeutet. Nach mehr als einem Jahrzehnt an der Macht ist Xi Jinping äußerst konsequent geblieben und hat Ressourcen bevorzugt in Staatsunternehmen und ausgewählte private Unternehmen in strategisch bedeutsamen Sektoren gelenkt. 

Xis wirtschaftspolitische Prioritäten haben seit 2013 deutliche Konturen gewonnen: Er betrachtet die Führung des Parteistaats als zentral für Chinas Aufholen in strategischen Technologien, beim Aufbau unabhängiger Lieferketten, der Angleichung des Binnenmarkts und Entwicklung industrieller Wertschöpfungsketten im eigenen Land. Das diesjährige Dritte Plenum dürfte die “neuen Produktivkräfte“ in den Mittelpunkt rücken, die fortschrittliche Technologien entwickeln und damit zur Modernisierung der Industrie beitragen sollen. Zugleich wird das Zentralkomitee hervorheben, dass das Konzept der „neuen Produktivkräfte“ nicht die Abkehr von traditionellen Industrien bedeutet. Ebenso zählt Beijing Privatunternehmen neben Staatsunternehmen weiterhin zu den “zwei Stützen“ des wirtschaftlichen Erfolgs. 

MERICS-Analyse: „Die Parteiführung wird auf dem Dritten Plenum viele im Grunde widersprüchliche Dinge zu vereinen versuchen. Zentral wird aber sein, welche Ziele staatliche Beamte und Parteikader nach dem Plenum dann tatsächlich ins Visier nehmen,” sagt MERICS-Experte Jacob Gunter

Medienberichte und Quellen:

Die Partei will die Kontrolle über das Militär weiter verstärken

Das KPC-Zentralkomitee wird der Volksbefreiungsarmee und Militärreformen auf dem Plenum einen kleinen, aber durchaus beachtenswerten Abschnitt widmen. Die Versammlung könnte personelle Änderungen in der Armeeführung, die Stärkung der politischen und ideologischen Arbeit sowie die Integration neuer Technologien zur Verbesserung der eigenen militärischen Fähigkeiten auf den Weg bringen. Zu erwarten sind neue Forderungen, das System für Reservisten und Mobilisierung zu reformieren. Die KPC will das Militär in die Lage versetzen, “Kriege zu führen und zu gewinnen” und hat der Volksbefreiungsarmee im vergangenen Jahrzehnt bereits in großem Umfang Ressourcen bereitgestellt. 

Auch zehn Jahre nach dem Beginn der von Xi initiierten Militärreform bleiben zentrale Probleme bestehen. Erst kürzlich setzte die Partei Mitglieder der obersten Militärführung wegen Korruptionsvorwürfen ab, darunter auch Verteidigungsminister Li Shangfu. Beijing löste zudem die für Weltraum-, Cyber- und elektronische Kriegsführung zuständige Einheit auf. Das alles deutet darauf hin, dass Xi an der ideologischen Disziplin des Militärs zweifelt und dass die Verbesserung der Kampffähigkeit zu langsam vorankommt. Die angespannte geopolitische Lage verleiht diesen Themen für China erhöhte Dringlichkeit. 

MERICS-Analyse: „Was auf dem Plenum über die Volksbefreiungsarmee gesagt wird, verrät etwas darüber, wie unzufrieden Xi mit dem derzeitigen Zustand des Militärs ist”, sagt MERICS-Analystin Helena Legarda

Medienberichte und Quellen:

MERICS China Digest

USA und Verbündete warnen vor chinesischer Hackergruppe (Wall Street Journal) 

In einer seltenen, koordinierten Aktion haben die USA und sieben weitere Länder davor gewarnt, dass eine vom chinesischen Staat unterstützte Hackergruppe namens APT40 eine Bedrohung für ihre Netzwerke darstellt. (9.7.2024)

Deutschland blockiert den Verkauf der MAN-Gasturbinensparte an chinesisches Unternehmen (Bloomberg) 

Die Bundesregierung hat den Verkauf der Gasturbinensparte der Volkswagen-Tochter MAN Energy Solutions an das staatliche chinesische Schiffbauunternehmen CSIC Longjiang untersagt und dies mit nationalen Sicherheitsbedenken begründet. (2.7.2024)

Chinas E-Autoriese BYD schließt Vertrag über 1 Mrd. USD für türkisches Werk ab (Bloomberg)

Die Vereinbarung über den Bau einer Fabrik, die 150.000 Fahrzeuge pro Jahr produzieren soll, könnte die Position des chinesischen Autoherstellers in Europa bedeutend stärken. (8.7.2024)

Ungarns Regierungschef Viktor Orban überrascht Europa mit Besuch in China (New York Times)

Der ungarische Premierminister erklärte, sein Treffen mit Präsident Xi Jinping sei Teil einer "Friedensmission" für die Ukraine. (7.7.2024)