Der Nationale Volkskongress 2021 + China als Weltmacht + Wirtschaftsreformen
Ehrgeizige Pläne, bestehende Probleme: China steht nach NVK vor sozialen Herausforderungen
Die chinesische Führung hat wie erwartet den diesjährigen Nationalen Volkskongress genutzt, sich in einem schwierigen internationalen Umfeld selbstbewusst und wehrhaft zu inszenieren. Um das angepeilte „qualitative Wachstum“ und eigenständige technologische Innovation zu erreichen, investiert China in den kommenden Jahren massiv in Forschung und Entwicklung. Jährlich ist ein Anstieg von sieben Prozent geplant, wie Premier Li Keqiang im Arbeitsbericht der Regierung ankündigte.
Die Delegierten des Volkskongresses beschlossen auch die Erhöhung der Militärausgaben um 6,8 Prozent. Das Thema Sicherheit steht für Chinas Regierung – auch angesichts der anhaltenden Spannungen mit den USA – im Vordergrund. Als „instabil und unsicher“ beschrieb Staats- und Parteichef Xi Jinping die Sicherheitslage des Landes bei einem Treffen mit ranghohen Armeevertretern. Die ganze Armee müsse mitarbeiten, ihre Fähigkeiten und Kampfbereitschaft auszubauen.
Ein klares Wachstumsziel gab der Volkskongress wie erwartet nicht aus, nannte aber immerhin „mehr als sechs Prozent“ als Zielmarke. Aus dem 14. Fünfjahr-Plan ist inzwischen mehr bekannt: In Sachen Klima gibt sich China weniger „grün“ als von Beobachtern erhofft. So verzichteten die Entscheider auf die Nennung von Emissionsgrenzen oder strengere Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz der Wirtschaft. Um das erklärte Ziel der CO2-Neutralität bis 2060 zu erreichen, werden hier größere konkrete Schritte nötig sein. Auch die Tatsache, dass der Energiesicherheit höhere Priorität eingeräumt wird, ist ein Hindernis für eine schnelle Energiewende.
Der Fünfjahr-Plan reflektiert in seiner Orientierung nach Innen aber auch, dass Chinas Führung sehr genau um die großen Herausforderungen weiß. Auch nach dem offiziellen, erfolgreichen Ende der Kampagne zur Armutsbekämpfung bleibt die steigende Ungleichheit ein dringliches Problem. Beijing steht vor der riesigen Aufgabe, die sozialen Sicherungssysteme zu stabilisieren und die ländlichen Regionen zu stärken.
Mit dem neuen Fünfjahr-Plan will China Investitionen in kleinere Städte und auf das Land umleiten, um die Kluft zwischen wohlhabenden und armen Regionen zu verkleinern und die Armutsbekämpfung nachhaltig zu gestalten. Angesichts der verschärften innerchinesischen Diskussionen um Nahrungssicherheit ist auch die Modernisierung der Landwirtschaft eine vordringliche Aufgabe.
Um die einheimische Basis zu stärken steht Chinas Führung vor einem schwierigen Spagat: Einerseits die Umstellung der Industrie von quantitativer zu qualitativ hochwertiger Produktion, andererseits die Sicherung sehr grundlegender Bedürfnisse in ärmeren Regionen. Die dafür notwendigen Investitionen dürften auch für ein Land wie China mit seinen hohen Devisenreserven schwer zu stemmen sein.
Nach der erfolgreichen Bekämpfung der Corona-Pandemie formuliert Beijing im Fünfjahr-Plan auch beunruhigende Ansätze im Umgang mit „Widersprüchen“ in der Gesellschaft. Weitere Investitionen in den Sicherheitsapparat gehören ebenso dazu wie eine Verschmelzung von Sicherheitsbehörden und öffentlicher Verwaltung, der Ausbau digitaler Überwachung und politische Kampagnen zur Mobilisierung der Massen. In schwierigen innen- und außenpolitischen Zeiten bleibt für die Führung um Xi Kontrolle das Gebot der Stunde.
Die wichtigsten Ziele für 2021 in Zahlen:
- BIP-Wachstum: > 6,0%
- Militärausgaben: 6,8% (bislang: 6,6%)
- Kreditaufnahme: 3,2% (bislang: 3,6%)
- Schaffung von Arbeitsplätzen in Städten: > 11 Million (bislang: 9 Millionen)
- Arbeitslosigkeit: ca. 5,5%
- Inflation: ca. 3,0%
- Energieverbrauch pro BIP-Einheit: ca. 3,0%
Mehr zum Thema: Unser Experte Nis Grünberg hat mit „Zeit Online“ über Chinas Klimapolitik gesprochen.
Medienberichte und Quellen:
METRIX
6,8%
Um diesen Prozentsatz erhöht China seinen Militärhaushalt 2021, auf CNY 1,36 Billionen. MERICS-Expertin Helena Legarda: “Dieser Anstieg der Verteidigungsausgaben zeigt, dass die Modernisierung des Militärs für Beijing weiter Priorität hat – das gilt auch in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit durch die Coronavirus-Pandemie. Nach den Worten der chinesischen Führung reagiert China damit auf ein ‚zunehmend komplexes internationales Umfeld‘”.
Öffentliche Ämter nur noch für „Patrioten“: NVK leitet Wahlreform in Hongkong ein
Die Fakten: Der Nationale Volkskongress hat die Reform des Hongkonger Wahlsystems ins Rollen gebracht. Nach dem am 11. März einstimmig gefassten Beschluss müssen Kandidaten für öffentliche Ämter in der Sonderverwaltungsregion künftig "überzeugte Patrioten" sein. Die Entscheidung ermächtigt den Ständigen Ausschuss des NVK, in den kommenden Monaten konkrete Änderungen der Wahlgesetze Hongkongs zu erarbeiten. Dazu dürften folgende Maßnahmen gehören:
- Die Überprüfung aller Kandidaten durch eine neu eingeführte Kontrollinstanz
- Änderungen der Wahlkreise und Besetzung des Wahlkomitees
- Strengere Kriterien für Nominierung des Regierungschefs (Chief Executive)
Nur wenige Tage zuvor hatte die Opposition in Hongkong einen weiteren herben Rückschlag erlitten: 47 führende Vertreter des pro-demokratischen Lagers wurden wegen ihrer Rolle bei den Vorwahlen im Juli 2020 angeklagt.
Der Blick nach vorn: Obwohl Details erst in den kommenden Monaten folgen werden, ist es wahrscheinlich, dass die Vorbedingung, sich als „Patriot“ qualifizieren zu müssen, oppositionellen Stimmen den Zugang zu politischen Ämtern versperren dürfte. Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam erwägt offenbar eine erneute Verschiebung der Legislativratswahlen, um die weitreichenden Änderungen vorher umzusetzen. Politbüromitglied Han Zheng machte deutlich, Hongkong befände sich in einem "Kampf zur Sicherung der Rechtsstaatlichkeit" und Bekämpfung von Subversion. Dies lässt vermuten, dass nach dem Umbau des Wahlsystems weitere Schritte folgen.
MERICS-Analyse: Das Prinzip eines "von Patrioten regierten Hongkong" wurde zuletzt in parteistaatlichen Medien vermehrt erwähnt und auf eine Rede von Deng Xiaoping von 1984 zurückgeführt, die als Grundlage für das Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" gilt. So wird der Eindruck erweckt, dass der Anspruch unbedingter Loyalist gegenüber der Volksrepublik und der KPC schon immer galt. Hiermit versucht Beijing zu widerlegen, dass die „Gemeinsame Erklärung“ Großbritanniens und Chinas von 1997 sowie das Hongkonger Grundgesetz ein allgemeines Wahlrecht und eigenständiges politisches System vorsahen.
Medienberichte und Quellen:
- HKFP: Hong Kong’s Lam unable to rule out another election delay, says ‘urgent’ electoral overhaul is an ‘improvement’
- SCMP: Beijing to use ‘combination punches’ when it comes to overhauling Hong Kong electoral system, says top Chinese official
- People's Daily: Reform to Hong Kong's electoral system is timely and necessary, constitutional and legal (完善香港选举制度及时必要、合宪合法)
China will seinen Platz als Weltmacht zurückerobern
Die Fakten: Mit Blick auf die Außenpolitik gibt sich China im 14. Fünfjahr-Plan selbstbewusst und zuversichtlich. Nach erfolgreichem Kampf gegen Armut und Pandemie will das Land seinen internationalen Einfluss festigen und bis 2049 wieder zur Weltmacht aufzusteigen. Das internationale Umfeld schätzt die KPC heute anders ein als vor fünf Jahren, als die Beziehungen zu den USA noch nicht so angespannt waren und die US-Handelsbeschränkungen chinesische Technologieunternehmen noch nicht so schwer getroffen hatten. "Unilateralismus, Protektionismus und Hegemonie“ bedrohten den Weltfrieden und die Entwicklung, heißt es nun im Fünfjahr-Plan in unverhohlener Anspielung auf die USA.
Der Blick nach vorn: Beijing ist entschlossen, seine Kerninteressen zu verteidigen und den aktuellen Kurs fortzusetzen. Dazu gehören die Reform der globalen Regierungsführung, aber auch die Modernisierung der Volksbefreiungsarmee bis 2035. China will sich stärker an der globalen „Ocean Governance“ beteiligen und eine "Polare Seidenstraße" aufbauen – ein bereits 2018 erstmals skizziertes Ziel.
Angesichts des Widerstands gegen Chinas geopolitische Ambitionen wollen Beijings Diplomaten ihr Land als verantwortungsvolle, dem Multilateralismus verpflichtete Macht präsentieren. Auch die Initiative „Neue Seidenstraße“ (BRI), wird deshalb zunehmend als Projekt der internationalen Zusammenarbeit dargestellt, und das ihr gewidmete Kapitel im Fünfjahr-Plan hebt Themen wie Nachhaltigkeit und Qualität hervor. Auch in Bereichen wie öffentliche Gesundheit, Wissenschaft und Innovation setzt China demnach bei der BRI auf Kooperation.
MERICS-Analyse: Aus Sicht Beijings befindet sich China in einer "wichtigen Phase mit strategischen Chancen", die allerdings auch wegen des strategischen Wettstreits mit den USA durch Instabilität und Unsicherheiten gekennzeichnet ist. Das zeigt sich auch im Projekt der Neuen Seidenstraße, wo mangelnde Regulierung und verbindliche Regeln Umweltschutz- und Nachhaltigkeitspläne gefährden könnten. Die Kapitel über die BRI im Fünfjahr-Plan weisen auf Probleme hin, doch fehlen offenbar Mechanismen zu deren Behebung.
Medienberichte und Quellen:
Moderates Wachstumsziel verspricht neuen Schwung bei Wirtschaftsreformen
Die Fakten: Das von den „Zwei Sitzungen“ für 2021 gesetzte Wachstumsziel von etwas mehr als sechs Prozent wird für China leicht zu erreichen sein. Die chinesische Führung setzte zudem recht realistische mittel- und langfristige Ziele: Angepeilt sind eine Verdopplung des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf bis 2035 und das Erreichen eines moderaten Entwicklungsstatus. Dies steht im Einklang mit Beijings Abkehr von einer rein quantitativen zu einer stärker qualitativ gemessenen Entwicklung wie auf dem 5. Plenum des 19. Zentralkomitees der KPC im vergangenen Oktober angekündigt. Die geplanten Reformen konzentrieren sich auf geistiges Eigentum, Wettbewerbspolitik und soziale Dienstleistungen. Kurzfristig sind die Maßnahmen zurückhaltend gestaltet, wobei auch eine Reduzierung des öffentlichen Defizits und ein geringeres Kreditwachstum geplant sind.
Der Blick nach vorn: Trotz einer bemerkenswerten Modernisierung haben Chinas Reformbemühungen oft enttäuscht. Durch den Verzicht auf ein ehrgeiziges BIP-Wachstumsziel und Fokussierung auf die Umsetzung haben Chinas Behörden eine bessere Chance ihre gesetzten Ziele zu erreichen. Sichtbare Bemühungen zur Eindämmung der Verschuldung und das Hinnehmen kontrollierter Insolvenzen wären ein früher Indikator für die Entschlossenheit Beijings. Mittelfristig werden zudem die Steuereinnahmen erhöht werden müssen, um die Sozialsysteme zu stabilisieren.
MERICS-Analyse: „Das geringe Wachstumsziel überrascht beim Blick auf die Entwicklung des chinesischen BIP zwischen 2015 und 2020 sowie auf die wirtschaftlichen Auswirkungen von Covid-19. Einerseits können wir dies als Ausdruck von Vorsicht angesichts der wegen der Pandemie anhaltenden globalen Unsicherheit deuten. Andererseits ist Beijing offenbar entschlossen, verstärkt auf Reformen zu setzen. Die für chinesische Verhältnisse hoch angesetzte Obergrenze für die Arbeitslosigkeit deutet darauf hin, dass Beijing Handlungsbedarf sieht,“ sagt MERICS-Experte François Chimits.
Medienberichte und Quellen:
China setzt weiterhin auf die Förderung der heimischen Innovation
Die Fakten: Chinas Innovationsfähigkeit stand bei den diesjährigen „Zwei Sitzungen“ ganz oben auf der Agenda. Beijing kündigte an, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) jährlich um mehr als sieben Prozent zu erhöhen. Der Entwurf des 14. Fünfjahr-Plans nennt sieben technologische Schwerpunkte: Dazu gehören Künstliche Intelligenz (KI), Quantencomputer, Halbleiter, Neurowissenschaften und Biotechnologie.
Der Blick nach vorn: Beijing hält an seinem Ziel fest, China in den kommenden fünf Jahren technologisch eigenständiger zu machen. Denn die chinesische Führung fürchtet, dass auch unter einer Biden-Administration US-Sanktionen chinesische Unternehmen von ausländischen Technologien abschneiden könnten. Die Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) erreichten 2020 einen Rekordwert von CNY 2,44 Billionen. Die Ausgaben wachsen allerdings langsamer, da die Regierung in ihrer Strategie selektiver wird. Sie legt mehr Wert auf die Grundlagenforschung und will Anreize für Unternehmen erhöhen, ihre F&E-Anstrengungen zu verstärken. Steuerbegünstigungen für entsprechende Kosten sollen von 75 auf 100 Prozent erhöht werden. Der Arbeitsbericht der Regierung hebt die Bedeutung einer Kooperation von Unternehmen, Universitäten und Endanwendern hervor.
MERICS-Analyse: Da sich das Wachstum der inländischen F&E-Ausgaben verlangsamt, will Beijing Anreize für ausländische Unternehmen schaffen, F&E-Zentren in China einzurichten. Vorerst werden die ausländischen Firmen gebraucht, um stabile industrielle Lieferketten zu gewährleisten. Zugleich fördert Beijing eigene nationale Spitzenreiter: Die China Development Bank hat kürzlich CNY 400 Milliarden an Krediten bereitgestellt, um die 100 führenden Tech-Unternehmen des Landes zu unterstützen.
Medienberichte und Quellen:
VIS-À-VIS: Malin Oud: "Wir wollen helfen, Chinas Diskurs und Narrative zu entschlüsseln"
MERICS China Briefing sprach mit Malin Oud, Leiterin des China-Programms am schwedischen Raoul- Wallenberg-Institut und Mitglied des MERICS-Kuratoriums, über das neue "Wörterbuch zur Entzifferung Chinas“. Die Publikation hat sie gemeinsam mit MERICS-Expertin Katja Drinhausen entwickelt und herausgegeben.
Sie beschreiben "The Decoding China Dictionary" als praktisches Werkzeug für politische Entscheidungsträger und alle, die sich mit China beschäftigen. Woher stammt die Idee für dieses Projekt?
Die europäische China-Debatte ist geprägt von Binsenweisheiten wie "China bedeutet sowohl eine Chance als auch eine Herausforderung" oder "wir müssen uns mit China auseinandersetzen". Ich denke, nur wenige Europäer sind tatsächlich grundsätzlich gegen ein Engagement mit China. Sie wünschen sich nur ein Engagement, das auf einem soliden Verständnis der chinesischen Politik, Interessen und Motivationen beruht.
In den letzten 30 Jahren, seit dem Ende des Kalten Krieges, waren westliche Diplomaten und Politiker damit beschäftigt, wie wir "China verändern" könnten. Chinas eigenem Streben nach Einfluss und seinen Bemühungen internationale Normen zu gestalten, wurde nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. Die europäischen Strategien basierten auf der Annahme, dass sich China sich internationalen Standards und Normen annähern und anpassen würde.
In den vergangenen zehn Jahren hat China jedoch begonnen, internationale Normen aktiv mitzugestalten. Es will die Prinzipien und Standards der regelbasierten internationalen Ordnung formen und neu definieren. Chinesische Konzepte finden zunehmend Eingang in UN-Dokumente, in denen Normen und Prinzipien wie Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit mit neuer Bedeutung und "chinesischen Merkmalen" versehen werden. Trotz eines sehr unterschiedlichen Verständnisses dieser Begriffe wird nun häufig auf sie verwiesen, als hätten sie feste normative Bedeutung.
Wir haben bei europäischen Entscheidungsträgern einen großen Informationsbedarf gesehen und beschlossen, einen Leitfaden zu entwickeln, der ihnen hilft, Chinas Diskurs und Narrativ zu entschlüsseln. Europäische Akteure müssen die Bedeutung von chinesischen Konzepten und Schlüsselbegriffen in den internationalen Beziehungen und der Entwicklungszusammenarbeit verstehen.
Sie haben über die Naivität, das Wunschdenken und sogar die vorsätzliche Ignoranz einiger politischer Entscheidungsträger in Bezug auf China gesprochen. Glauben Sie deshalb, dass ein solches Instrument dringend notwendig ist?
Es ist dringend notwendig, die Debatte "für oder gegen ein Engagement in China" zu überwinden. Was wir brauchen, ist ein auf fundiertem Wissen gründendes Engagement, um universelle Werte und europäische Kerninteressen wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte verteidigen zu können.
Chinas Aufstieg zu einer globalen Macht bedeutet einen zunehmenden Wettbewerb um internationale Werte und Standards. Die regelbasierte Weltordnung und der Multilateralismus beruhen auf einem globalen Konsens über die Bedeutung der Normen, die das internationale System formen. Wenn Begriffe wie Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Demokratie und Souveränität unscharf werden, untergräbt das diese Normen.
Was sollen Leser aus dem Wörterbuch mitnehmen?
Wir hoffen, dass das Wörterbuch politischen Entscheidungsträgern und Praktikern hilft, den ideologischen Unterbau unter der Oberfläche scheinbar neutraler oder "unpolitischer" Begriffe wie Multilateralismus, Kooperation und Frieden zu erkennen. Unser Wörterbuch soll als Referenz dienen für die Entwicklung von Strategien und für die Kommunikation mit China.
Sie finden "The Decoding China Dictionary" unter https://decodingchina.eu/.
REZENSION: Story FM: Die Vielfalt von Chinas Stimmen
Zurzeit sind alle Augen auf die „Zwei Sitzungen“ und die Pläne der chinesischen Führung gerichtet. Aber China ist sehr viel mehr ist als die Politik des Parteistaats. Der chinesische Podcast StoryFM (故事FM) beleuchtet das Leben der Menschen abseits der Öffentlichkeit und erzählt die Geschichten hinter dem Aufstieg und der Entwicklung Chinas.
"Wir erzählen eure Geschichten, mit euren Stimmen", lautet der Slogan der Serie, die dreimal wöchentlich auf Sendung geht und oft als chinesisches Pendant zu „This American Life“ bezeichnet wird. Der Gründer und Produzent von StoryFM ist Kou Aizhe (寇爱哲), ein ehemaliger Bibliothekar mit Interesse an Medien. Er tritt in den meisten Episoden als Erzähler auf, im Vordergrund stehen aber stets die Erfahrungen von Menschen aus ganz China.
Die Serie erzählt Geschichten von Liebe und Verlust, von Familien, die zusammenfinden und Ehen, die in die Brüche gehen. Arbeiter erzählen von ihren Erfahrungen im Lockdown, ein Kader über seinen Kampf gegen die Folgen von Naturkatastrophen und ein Rentner über sein Hobby, Berichte von Zeitzeugen zu sammeln.
Der Podcast greift immer wieder auch aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen auf. Die Themen sind breit gefächert: von häuslicher Gewalt, dem Einsatz von KI gegen Einsamkeit, Leihmutterschaft und LGBTQ-Rechten bis hin zur Strafjustiz, dem Wandel gesellschaftlicher Werte und Migration.
Seit seinen Anfängen im Jahr 2017 hat StoryFM eine breite und treue Fangemeinde in China und im Ausland gewonnen. Die kurzen, in Alltagssprache geführten Gespräche machen den Podcast auch für Chinesisch-Lernende verständlich und bieten Einblicke in das alltägliche Leben in China. In einer Zeit, in der das Reisen nicht so einfach möglich ist, ist dies besonders wertvoll.
Link zum Podcast 故事FM: https://storyfm.cn/.
Rezension von Katja Drinhausen, Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei MERICS
IM PROFIL: Wang Zhigang 王志刚
Chinas Minister für Wissenschaft und Technologie, Wang Zhigang, stand in letzter Zeit häufiger im Rampenlicht. Die chinesische Führung setzt auf Innovation, um den Übergang zu einem qualitativ hochwertigen Wachstum zu vollziehen und im technologischen Wettstreit mit den USA zu bestehen. Im Februar sagte Wang auf einer Pressekonferenz, China strebe keine technologische Abkopplung von den Vereinigten Staaten an und hoffe im Bereich Halbleiter immer noch auf internationale wissenschaftliche und technologische Zusammenarbeit. Er versprach auch, den Schutz des geistigen Eigentums zu stärken.
Der 14. Fünfjahr-Plan misst der wissenschaftlichen und technologischen Eigenständigkeit strategische Bedeutung für Chinas Entwicklung bei. Dennoch stehen große Herausforderungen bevor. In der Grundlagenforschung hat China Schwächen, bei Kerntechnologien, wie etwa integrierten Schaltkreisen, ist die Abhängigkeit vom Ausland immer noch hoch. Da die US-Handelsbeschränkungen Chinas technologische Ambitionen behindern, ist die Reform des Innovationssystems und der Forschungsinfrastruktur des Landes eine Priorität.
Nichts davon ist Neuland für Wang, der seit 2011 im Ministerium für Wissenschaft und Technologie arbeitet. Er wirkt auch in mehreren zentralen KPC-Führungsgruppen für die Koordination von Wissenschafts- und Technologiepolitik mit.
Wang studierte Ingenieurswissenschaften an der Xidian-Universität, die enge Verbindungen zu Chinas Verteidigungsindustrie und der Volksbefreiungsarmee unterhält. Er war über ein Jahrzehnt lang stellvertretender Direktor eines Forschungsinstituts, das dem heutigen Industrie-Ministerium MIIT unterstand. Später wechselte Wang in die Softwareindustrie, war in führender Position bei der China Electronic Technology Group Corporation (CETC) tätig, einem großen staatlichen militärischen Industriekonglomerat, das sich auf Dual-Use-Elektronik spezialisiert hat.
Heute reist Wang – wenn die Corona-Pandemie ihn nicht daran hindert - als Gesicht von Chinas Wissenschafts- und Technologiediplomatie um die Welt. In den vergangenen fünf Jahren hat Beijing das gesteckte Ziel zur Erhöhung der Forschungsausgaben verfehlt, will nun aber seine Ausgaben für Forschung und Entwicklung rasant erhöhen, um das Land bis 2035 unter die innovativsten Nationen zu bringen. Wangs Ressort ist in China damit wichtiger denn je.
Medienberichte und Quellen:
- Chinavitae: Official biography
- Unitracker: Xidian University
- Xinhuanet: Interview mit Wang auf Chinesisch
- SCMP: Wang tells press conference China does not want technology decoupling with US
MERICS China Digest
MERICS Top 3
- DW: China und Russland wollen Mondstation bauen
- F.A.Z.: China macht mit digitalem Impfpass Druck
- Reuters: Chinas Exporte verzeichnen im Februar Rekordwachstum
Innenpolitik, Gesellschaft und Medien
- SCMP: Beijing plant neue Maßnahmen zum Schutz personenbezogener Daten
- BBC: Neue Belege für Zwangsarbeit in Xinjiang
Wirtschaft, Finanzen und Technologie:
- Reuters: Exklusiv: Chinesisches Elektroauto-Trio plant 2021 Börsengang in Hongkong
- Global Times: Chinas geplante Gesetzesänderungen zur Abwehr von Sanktionen
Internationale Beziehungen: