Willst du dienen? Online-Debatten über eine Militärkarriere in China
Zusammenfassung:
- Die Armee bemüht sich, die besten Nachwuchskräfte des Landes zu gewinnen, ein wichtiger Faktor, um Xi Jinpings Vision von einem kampffähigen Militär bis 2027 zu verwirklichen. Wie Online-Kommentare zeigen, wird eine Laufbahn in Chinas Militär allerdings kontrovers diskutiert.
- Die Befürworter einer Militärkarriere nennen finanzielle Vorteile als Hauptanreiz. Dies gilt insbesondere für Absolventen von Militärakademien, die in den Offiziersrang aufsteigen.
- Argumente gegen eine Militärlaufbahn sind attraktivere Karrierewege, eine mangelnde Identifikation mit der Armee und das Risiko, dass hochqualifizierte Rekruten in entlegenen Regionen für wenig anspruchsvolle Tätigkeiten eingesetzt werden.
- Praktische und nicht etwa geopolitische oder ideologische Gründe dominieren die Diskussionen über eine Karriere beim Militär. Chinas wirtschaftlicher Abschwung und die zuletzt intensivierten Patriotismus-Kampagnen könnten den Militärdienst für junge Menschen attraktiver machen.
Diese Analyse erschien in der Reihe China Spektrum, ein gemeinsames Projekt des China-Instituts der Universität Trier (CIUT) und des Mercator Institute for China Studies (MERICS). Das Projekt wird ermöglicht durch die Förderung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Mehr erfahren Sie hier.
Die Volksbefreiungsarmee wirbt um Nachwuchs in einer sich ändernden Welt
Im Vorfeld des näher rückenden 100. Jahrestags der Volksbefreiungsarmee (VBA) hat Partei- und Staatschef Xi Jinping umfangreiche Reformen und Modernisierungen angestoßen, die das Militär bis 2027 „kampffähig“ machen sollen. Dieses Ziel könnte nun an Dringlichkeit gewinnen, da der designierte US-Präsident Donald Trump auch für seine zweite Amtszeit eine konfrontative China-Politik angekündigt hat.
Die Armee bemüht sich um die besten Nachwuchskräfte des Landes. In Online-Diskussionen zum Thema wird eine militärische Laufbahn jedoch durchaus kontrovers diskutiert. Während manche finanzielle Stabilität und Patriotismus als positive Beweggründe anführen, verweisen andere auf systemische Probleme und unsichere Perspektiven im Militär. Für die vorliegende Analyse haben wir die Kommentare zu 29 Videos über Chinas Militärakademien nach Gründen für und gegen den Eintritt in die VBA analysiert. Die Videos enthalten Ratschläge und Einblicke von pensionierten Offizieren, motivierende und inspirierende Geschichten und Erfahrungen, pädagogische Inhalte sowie praktische Informationen zum Bewerbungsverfahren.
Die VBA verfügt über circa zwei Millionen aktive Soldaten. Jedes Jahr werden allerdings ungefähr 400.000 neue Rekruten benötigt, da etwa ein Drittel der Armee aus Wehrpflichtigen besteht, deren Dienstverhältnis nach zwei Jahren ausläuft. Beijing ist bestrebt, Chinas Jugend auf den Verteidigungsfall des Landes vorzubereiten. Ein im September 2024 überarbeitetes Gesetz zur nationalen Verteidigungserziehung zielt darauf ab, Studenten und Schüler besser militärisch auszubilden und neue Rekruten zu gewinnen.
Zwölf Millionen Studenten haben im Juni 2024 ihr Studium an chinesischen Universitäten abgeschlossen, während die Jugendarbeitslosigkeit in den Städten im Oktober bei 17,1 Prozent lag. Angesichts des wirtschaftlichen Abschwungs lag der Anteil der Hochschulabsolventen, die sich 2024 für Stellen in staatlichen Unternehmen, Regierungsbehörden oder öffentlichen Einrichtungen interessierten bei 73 Prozent (2019 waren es noch 51 Prozent gewesen). Die Zahl der VBA-Bewerber mit Hochschulabschluss lag 2021 bei 1.220.000, das waren fast sechsmal so viele wie 2013. Der Anteil von Hochschulabsolventen unter neuen Rekruten stieg von etwa 50 Prozent im Jahr 2017 auf über 80 Prozent im ersten Halbjahr 2022.
Auch Abiturienten, die die erforderliche Punktzahl in der nationalen Hochschulzulassungsprüfung (Gaokao) erreichen, können sich an einer der 43 Militärakademien Chinas bewerben. Die Akademien stellen einen der wichtigsten Zugangswege zum Militär für junge Menschen in China dar. Studierende an der Akademie absolvieren eine vierjährige Ausbildung zum Offizier oder werden an einer separaten Militärschule im Rahmen einer dreijährigen Ausbildung zum Unteroffizier ausgebildet. 2023 bewarben sich etwa 135.000 Abiturienten an Militärakademien, von denen 17.400 zugelassen wurden – dies entspricht einer Aufnahmequote von 12,9 Prozent. Der Großteil der Offiziere der VBA besteht aus Gaokao-Absolventen, die die Militärakademie durchlaufen haben.
Was wird debattiert?
Seit einigen Jahren sind in den Wochen vor den Hochschulaufnahmeprüfungen vermehrt Online-Debatten über das Militär als Ausbilder und Arbeitgeber zu beobachten. Auf der chinesischen Videoplattform Bilibili berichten ehemalige Angehörige der VBA über ihre Zeit an der Militärakademie und geben Ratschläge. In den Kommentarbereichen werden Argumente für und gegen eine Karriere beim Militär geteilt.
Finanzielle Vorteile und ein sicherer Arbeitsplatz sind Hauptargumente für den Eintritt ins Militär
Unter den Vorteilen einer Militärlaufbahn werden an erster Stelle die teils erheblichen finanzielle Vorzüge genannt. Kommentatoren weisen darauf hin, dass das Militär Studierende finanziell unterstützt. Zudem bekämen Absolventen häufig direkt nach dem Studium Stellen mit einem wettbewerbsfähigen Gehalt zugewiesen. Während zum Beispiel ein Zugführer beim Militär ein Einstiegsgehalt von umgerechnet monatlich 790 bis 1.050 EUR netto erhält, verdienen angehende Lehrer in China nur 395 bis 525 EUR. Mit einem höheren Dienstgrad kann der Verdienst beträchtlich steigen – einige Kommentierende berichten von bis zu 5.250 EUR im Monat. Sie verweisen darauf, dass die Armee Verpflegung, Unterkunft und Kleidung bereitstellt. Hinzukommen umfassende Sozialversicherungen und medizinische Leistungen – nicht nur für die VBA-Angehörigen selbst, sondern auch deren Familien. Für eine Ausbildung in der Militärakademie fallen keine Studiengebühren an, wodurch Familien finanziell entlastet werden. Studenten, die sich für den zweijährigen Wehrdienst vom Studium freistellen lassen, erhalten nach Beendigung des Dienstes eine Abfindung sowie Ermäßigungen auf ihre weiteren Studiengebühren. Offiziere im Ruhestand erhalten beträchtliche Zulagen, die sich teilweise auf den Gegenwert von Zehntausenden oder sogar Hunderttausenden von Euro belaufen und für finanzielle Sicherheit sorgen.
In den Kommentaren werden auch die klar vorgegebenen Karrierewege und die Aussicht auf einen gesellschaftlichen Aufstieg hervorgehoben, wovon insbesondere Personen aus weniger wohlhabenden Verhältnissen profitieren. Das Militär bietet ein stabiles Arbeitsumfeld mit attraktiven Arbeitgeberleistungen, wie Bausparverträge, und Unterstützung bei der Ausbildung der Kinder und der Pflege älterer Angehöriger, so die Kommentatoren. Die während der Ausbildung geknüpften Netzwerke und spezialisierten Fähigkeiten verschafften Veteranen einen Vorteil gegenüber Absolventen anderer Universitäten.
Das Militär bietet Stabilität und Struktur
Als einer der wichtigsten Vorteile des Militärs wird Stabilität genannt, wobei viele Kommentare die Garantie eines sicheren Arbeitsplatzes und Aufstiegsmöglichkeiten hervorheben. Dies sind besonders wichtige Kriterien für Jobsuchende ohne starken familiären Rückhalt oder finanzielle Mittel. Darüber hinaus wird betont, dass das Militär die Leistung seiner Mitarbeiter anerkenne. Gerade Menschen, die ein stabiles Leben und einen sicheren Arbeitsplatz suchen, schätzen das „zweite Zuhause“ und die Zugehörigkeit zu einer starken Gemeinschaft innerhalb des Militärs.
Die Pflicht ruft: Patriotismus als Motivation
Patriotismus ist ein weiteres häufig genanntes Motiv. So äußern einige Kommentatoren den starken Wunsch, ihrem Land dienen zu wollen. Sie betrachten den Eintritt ins Militär als ihren Beitrag zum Schutz chinesischer Werte und zur nationalen Verteidigung. Der Militärdienst sei mehr als eine Berufswahl: Sie sprechen von dem Stolz und der Ehre, die mit dem Tragen der Uniform und dem Dienst für das Vaterland einhergehen.
Den Kommentaren auf Bilibili zufolge sei der Militärdienst eine attraktive Option für diejenigen, die finanzielle Stabilität, beruflichen Aufstieg und einen komfortablen Lebensstil suchen.
Eine schwache Mehrheit der Stimmen ist „dagegen“
Mehr als die Hälfte der Kommentare spricht sich allerdings gegen eine Militär-Laufbahn aus. Das Hauptargument ist, dass Bewerber finanzielle Sicherheit und soziale Mobilität genauso gut in Berufen mit weniger Ungewissheit und Entbehrungen realisieren könnten. Viele argumentieren, dass auch Polizeiakademien finanzielle Unterstützung in Form von erlassenen Studiengebühren, Studiendarlehen und Möglichkeiten für Teilzeitarbeit bieten. Als Polizisten oder Beamte wäre den Absolventen eine Festanstellung, ein respektables Einkommen und sozialer Status sicher. Dies sei besonders für Menschen aus benachteiligten Verhältnissen attraktiv. Einige heben hervor, dass Polizeibeamte meist eine bessere Work-Life-Balance haben und seltener in abgelegenen Gebieten eingesetzt werden.
Als Alternative wurden zudem staatlich finanzierte Lehrerausbildungsprogramme erwähnt, bei denen die Studenten Darlehen aufnehmen oder in Teilzeit arbeiten können. Nach ihrem Abschluss erhalten sie in der Regel einen Lehrauftrag, der ihnen sofortige Beschäftigung und finanzielle Stabilität böte. Auch Bauingenieurwesen und Informatik werden als Studiengänge mit guten Berufsaussichten und Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung genannt.
Niemand will in entlegenen Regionen arbeiten
Viele Kommentatoren äußern Bedenken darüber, dass Absolventen von Militärakademien oft in abgelegene Regionen wie Xinjiang (新), Tibet (西) oder Lanzhou (兰) entsendet werden. Diese Gebiete werden euphemistisch als „Neuseeland“ (新西兰) bezeichnet, wohin junge Offiziere versetzt würden, um „Unkraut zu jäten“. Die ironische Verwendung der reizvollen Reisedestination Neuseeland unterstreicht die Frustration von Hochschulabsolventen, die in der Peripherie mit niederen Aufgaben konfrontiert werden. Ein Kommentar beschreibt dies mit den Worten: „an einem abgelegenen Arbeitsplatz zu sein, an dem man niemanden sehen kann. Es ist so einsam, dass es einen verrückt macht.“ Die Kommentierenden merken an, dass dieses Schicksal sogar die besten Absolventen angesehener Militärakademien treffen kann, insbesondere wenn ihnen persönliche Verbindungen innerhalb des Militärs fehlen. Ohne gute Beziehungen oder den richtigen „Hintergrund“, so sagen sie, könnte man in einer isolierten Position mit begrenzter Möglichkeit für Aufstieg und persönliche Entfaltung enden.
Identifikation mit dem Militär ist unerlässlich
Einige Stimmen betonen, dass der Eintritt ins Militär aus dem aufrichtigen Wunsch erwachsen sollte, dem Land dienen zu wollen, und nicht aus dem Bedürfnis nach einem sicheren Arbeitsplatz oder finanziellen Vorteilen. Sie warnen davor, dass Menschen ohne echte Hingabe für den Beruf mit den Anforderungen und Entbehrungen des Militärlebens nicht zurechtkommen würden. Einige argumentieren, dass dadurch wertvolle Ressourcen verschwendet würden. Das sei schlecht für die Rekruten wie auch die Institution.
Militärkarriere könnte künftig attraktiver werden - trotz geopolitischer Spannungen
Die Weltöffentlichkeit ist zunehmend besorgt über eine Eskalation in der Taiwan-Straße oder im Südchinesischen Meer. Die Bilibili-Kommentare beschäftigen sich jedoch kaum mit den potentiellen Auswirkungen, die ein Krieg auf das Leben von Offizieren hätte. Der Fokus liegt auf den individuellen Vor- und Nachteilen einer militärischen Laufbahn. Patriotismus wird in nur zwölf Prozent der Kommentare als Motiv angeführt.
Insgesamt raten mehr Kommentare von einer Karriere im Militär ab als sie sie befürworten. Es dominieren praktische Erwägungen, die vor allem von den individuellen Lebensumständen derjenigen geprägt sind, die eine militärische Laufbahn in Betracht ziehen.
Jedoch könnte das Militär und die Aussicht auf eine feste Anstellung im öffentlichen Dienst nach dem Austritt für Abiturienten zu einer zunehmend attraktiven Option werden, sollten der wirtschaftliche Abschwung und die hohe Jugendarbeitslosigkeit anhalten und die patriotische Erziehung der Partei Früchte tragen. Dass Positionen im Militär und im öffentlichen Dienst von der Regierung als wesentlich für die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung betrachtet werden, spielt dem zusätzlich in die Karten. Um Unruhen vorzubeugen und das Funktionieren der Gesellschaft zu gewährleisten, könnte Beijing solche Stellen verstärkt fördern. Die Attraktivität dieser Berufswege dürfte damit besonders in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheiten noch weiter steigen.
Methodologie
Für diese Analyse wurden auf der Videoplattform Bilibili die 29 Videos mit Bezug zur Militärakademie ausgewählt, die die höchste Zuschauerbeteiligung aufwiesen. Die Kommentare unter diesen Videos, die mehr als 21 chinesische Zeichen umfassten, wurden einer Themenmodellierung unterzogen. Aus der Themenmodellierung gingen 51 Themen hervor, wobei prominente Themen ein klares dichotomes Muster aufwiesen: Kommentare „ermutigten“ entweder oder „rieten davon ab“, dem Militär beizutreten. Nach Überprüfung und Entfernung redundanter Inhalte blieben zwölf Themen übrig, zu denen es insgesamt 755 Kommentare gab. Mit Hilfe von OpenAI wurde jeder gepostete Kommentar mit einem der folgenden Tags versehen: „ermutigt“, „rät ab“ oder „unklar“. Chat GPT wurde aufgefordert, mehrere Gründe anzugeben, warum ein Kommentar mit „ermutigt“ oder „rät ab“ gekennzeichnet wurde. Die Richtigkeit wurde manuell überprüft. Der Tag-Vorgang wurde einmal wiederholt und anschließend wurden sich überschneidende Beweggründe unter „ermutigt“ und „rät ab“ zusammengeführt. Die wichtigsten Gründe für und gegen eine Karriere beim Militär, die sich aus der Themenmodellierung ergaben, werden in dieser Analyse dargelegt.