Flagen China und EU
Interview
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“Das Investitionsabkommen ist ein Test für den künftigen Entwicklungsverlauf der EU- China-Beziehungen”

Voraussichtlich noch vor Jahresende werden die EU-Mitgliedsstaaten über das Investitionsabkommen mit China entscheiden müssen. Am Freitag wurde ein vorläufiges Dokument bei einem Botschaftertreffen in Brüssel diskutiert. In diesen letzten Dezembertagen werden noch Gespräche auf höchster Ebene erwartet. Das Abkommen brächte bescheidene Fortschritte mit Blick auf Gleichbehandlung und mehr Marktzugang. Doch die (geo-)politische Gesamtsituation und Themen, die nicht von dem Abkommen abgedeckt werden, machen es nicht zu dem Abkommen, das Europäer sich zu Beginn der Verhandlungen vor sieben Jahren erwünscht haben. MERICS-Direktor Mikko Huotari und MERICS-Chefökonom Max J. Zenglein erläutern warum.

Um was geht es und was steht auf dem Spiel?  

Mikko Huotari: Die Verhandlungen des sogenannten „Comprehensive Agreement on Investment (CAI)“ stellen den wichtigsten Versuch der EU dar, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und der EU neu auszutarieren. Auch als fortschrittliches Bilaterales Investitionsabkommen (BIT) kann es keine Probleme lösen, die nicht Teil des Abkommens sind. Dennoch hat der Abschluss oder ein mögliches Scheitern des Abkommens weitreichende politische Folgewirkungen. Angesichts des geopolitischen Kontextes und der aktuellen Spannungen im Verhältnis zwischen der EU und China sollte das Investitionsabkommen als Test für den weiteren Entwicklungsverlauf der Beziehungen gesehen werden. Unabhängig von dem politischen Signal, das von einem Abschluss des Abkommens ausgehen dürfte, müssen wichtige Details in den nächsten Monaten noch ausgearbeitet werden. Und das Abkommen muss noch ratifiziert werden – mindestens vom Europäischen Parlament. 

Wer wird von dem Abkommen profitieren?  

Mikko Huotari: Schaut man zunächst nur auf den Anwendungsbereich des Abkommens hatte vor allem die EU Forderungen an China. China hat dabei einzelne Zugeständnisse gemacht, von denen Beijing denkt, dass sie in seinem langfristigen Interesse liegen. Das Abkommen verspricht Verbesserungen für Marktzugang, Nichtdiskriminierung und Geschäftsbedingungen vor Ort. Zugeständnisse zu einer weiteren Marktöffnung wurden unter anderem im Bereich Finanz- und Telekommunikationsdienstleistungen, Fahrzeuge mit alternativen Energieantrieb, Luft- und Wassertransport, privaten Krankenhäusern sowie Forschung und Entwicklung gemacht.  

Auf der Basis dieses Abkommen erhalten europäische Unternehmen in diesen Industrien tatsächlich neue Geschäftsoptionen in China. Die EU-Verhandler „liefern“ also ein Abkommen im Interesse zahlreicher Wirtschaftsvertreter.  

Für Beijing würde das Abkommen einen symbolischen Sieg bedeuten, der verdeutlicht, dass China Globalisierung mit wichtigen internationalen Partnern vorantreibt, und sich dabei das anhaltende Interesse europäischer Investoren und Zugang zu dringend benötigten Technologien sichert. Vertreter der chinesischen Partei- und Staatsführung dürften den Abschluss des Abkommens als willkommenes Signal werten, das die transatlantische Annäherung in puncto gemeinsame Chinapolitik erschwert.  

Trotz aller möglichen Schwächen des Abkommens und angesichts der aktuellen Spannungen könnten die EU und China beide davon profitieren, dass sie ihre Beziehungen in einem neuen Abkommen verankern und damit beweisen, dass sie fähig sind, zu Verhandlungsergebnissen zu gelangen, die auch kritische Fragen nicht außen vorlassen. Gleichzeitig zeigt das Abkommen auch die Grenzen dessen, was mit China derzeit noch verhandelbar scheint. 

Wird das Investitionsabkommen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für ausländische Unternehmen wirklich verbessern?  

Max J. Zenglein: Der im Investitionsabkommen versprochene Marktzugang und die Wettbewerbsgleichheit müssen im Rahmen größerer Entwicklungen betrachtet werden. Erst vor einigen Tagen hatte Chinas Nationale Reform- und Entwicklungskommission (NDRC) neue Regularien zur Überprüfung von Investitionen angekündigt. Diese werden vermutlich zumindest teilweise jeder weiteren Marktöffnung widersprechen.  

Die Bemühungen der chinesischen Führung, im Kontext von wachsenden geopolitischen Risiken ehrgeizige industriepolitische Ziele zu erreichen, verändern aktuell das Marktumfeld für ausländische Unternehmen in China massiv. Bei der diesjährigen “Zentralen Wirtschaftsarbeitskonferenz” der Kommunistischen Partei Chinas, die am 18. Dezember zu Ende ging, hat die chinesische Führung klare Prioritäten formuliert:  nämlich die nationale strategisch-wissenschaftliche und technologische Stärke durch ein „Zusammenwirken der gesamten Nation“ auszubauen sowie Autonomie und Kontrolle über industrielle Lieferketten zu stärken. Jeder weitere substanzielle Marktzugang wird in China nur erfolgen, wenn es der chinesischen Führung hilft, diese Prioritäten zu realisieren.  

Generell hat die KPC ihre Anstrengungen dieses Jahr verstärkt, die Kontrolle über die Wirtschaft zu behalten. So wird beispielsweise erwartet, dass Unternehmen ihre Lieferketten lokalisieren und Forschung und Entwicklung sowie hochwertigere Teile des Herstellungsprozesses nach China verlagern. Ausländische Unternehmen, die diesen Erwartungen nicht entsprechen und keine entsprechenden Anpassungen vornehmen, könnten ihre langfristigen Geschäftsaussichten gefährden. Das Investitionsabkommen kann Entwicklungen dieser Art nicht verhindern und lässt europäische Firmen weiterhin dem wachsenden politischen Einfluss ausgesetzt. 

Welche weiteren Punkte konnten in dem Abkommen (nicht) erreicht werden?  

Mikko Huotari: In den vergangenen Monaten zählten neben Zugeständnissen beim Marktzugang auch die Themen Wettbewerbsgleichheit, Streitschlichtung, Arbeitsrechte und Zusagen zu Nachhaltigkeit zu den größten Hürden. Bei vielen dieser Themen scheinen die europäischen Verhandler Fortschritte erreicht zu haben, von denen auch andere Partner profitieren können. Transparenzanforderungen für Subventionen und Grenzziehungen für Staatsunternehmen, die diese dazu verpflichten, auf der Grundlage wirtschaftlicher Erwägungen zu agieren, wären ein bedeutender Schritt nach vorn. Es bleiben jedoch Zweifel bezüglich der Durchsetzbarkeit und Wirksamkeit des Streitschlichtungsmechanismus und der „level playing field“-Klauseln. China ist auch keine substanziellen Verpflichtungen in Bezug auf Arbeitsrechte eingegangen, wie sie in den Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verankert sind, was angesichts der Vorwürfe über Zwangsarbeit in China und als Herausforderung für einen fairen Wettbewerb kritisiert werden kann.  

Das Abkommen war nie dazu gedacht, andere Themen zu klären, die häufig zu unfairem Wettbewerb führen, wie beispielsweise das öffentliche Beschaffungswesen. Aber wenn das Investitionsabkommen jetzt geschlossen wird, wird die EU ihre Bemühungen verdoppeln müssen, auch in diesen Bereichen Fortschritte zu erreichen. 

Welchen Preis zahlt die EU möglicherweise für dieses Abkommen? 

Mikko Huotari: Über die symbolische Signalwirkung hinaus wissen wir nicht genau, was China im Zuge dieser Verhandlungen gewinnt, außer dass der europäische Binnenmarkt offenbleibt. Es ist möglich, dass Mitgliedstaaten, sich informell auf andere Punkte mit China verständigt haben. Darunter auch Versprechen, die mit dem Ausbau der 5G-Technologie, Investitions- sowie Forschungs- und Entwicklungskooperationen in Zukunftstechnologien zu tun haben.  

Aber es geht um noch größere Fragen: Wenn Europa dieses Abkommen abschließt, kann es das Vertrauen gleichgesinnter Partner verlieren, die diesen Deal nicht unbedingt als Zeichen der "strategischen Autonomie" Europas sehen. Es bedürfte einiger Gerissenheit in Brüssel und viel politischen Kapitals in den Hauptstädten, um diesen zweigleisigen Ansatz einer stärkeren transatlantischen Koordination und einer privilegierten Beziehung zu China nachhaltig zu verfolgen. Und wenn das Abkommen in der jetzigen Form bestehen bliebe (ohne substanzielle Verbesserungen der ILO-Verpflichtungen), würde Europa auch Glaubwürdigkeit als normative und prinzipientreue Macht einbüßen. Der Preis für mehr Marktzugang wäre unter anderem, eine zugegebenermaßen begrenzte Gelegenheit zu verspielen, die Menschenrechtsentwicklungen und Arbeitsbedingungen in China mit zu beeinflussen. Die europäischen Akteure sollten China deshalb klar signalisieren, dass ein Abkommen ohne diese Verpflichtungen nicht zur Ratifizierung vorgelegt wird.  

Es ist unwahrscheinlich, dass die EU allein – als offene Wirtschaft – mehr Druck machen könnte, um China zu weiteren Zugeständnissen zu bewegen. Die nächsten Monate werden zeigen, ob wichtige europäische Vertreter mit derselben Energie, wie sie die Annäherung an China betreiben, versuchen, sich mit gleichgesinnten Partnern zu koordinieren und Hebelwirkung zu erzeugen – während das Investitionsabkommen zu Papier gebracht wird.